Die Tafeln von Ebrach,
ein interdisziplinäres Projekt mit jugendlichen Häftlingen der JVA Ebrach, in der ich seit 2011 ehrenamtlich tätig bin. Diese Arbeit habe ich als Bildender Künstler lange und mit der finanziellen Hilfe des Kunstfonds Bonn vorbereitet; mit tatkräftiger Unterstützung des Pfarrers und Gefängnisseelsorgers Hans Lyer umgesetzt. Wichtig dabei war, dass die jugendlichen Gefangenen auch von Anfang an dabei sind. Die Tafeln wurden in der Gefängnisschlosserei mit ihrem Zutun von Stahlprofilen umrandet, um eine Verletzungsgefahr auszuschliessen, einige haben mit mir gemeisam die Tafeln in den jeweiligen Freiganghöfen installiert, sowie deinstalliert und später nach abgeschlossenem Projekt in die Klosterkirche Ebrach überführt, dort präsentativ als 3 Tafelaltar wieder aufgebaut.
In den 3 Innen- bzw. Freiganghöfen des ehem. Klosters wurden je eine Schieferplatte installiert. Völlig unzensiert konnten die “Jungs” ihren Gedanken freien Lauf lassen. Zum Schreiben benutzten sie weiße Kreide. Geschriebenes wurde je nach Wetterlage vom Regen abgewaschen. Es gab keinen Schwamm. Mit der Zeit verdichtete sich ein abstraktes haptisches Schreibgebilde. Im weitesten Sinne auch eine Interaktion mit den überwachenden Justizbeamten, die zwar zähneknirschend Geschriebenes beobachteten, aber nicht eingreifen durften – gar abwischen konnten. Diese Art von Demokrtie war wichtig, um an einem Ort, wo einem alles genommen wird wenigstens das aufrecht zu erhalten, eine vorweggenommene Resozialisierung bedeutet. Freies Schreiben ganz anarchisch schwarz auf weiß, im Knast umgekehrt weiß auf schwarz, dem uralten Ritus von nostalgischen Lehranstalten folgend – mit Kreide auf Schiefer. Eine gewisse Erhabenheit ergibts sich daraus als auch auf den 100 Kilo schweren, echten und preziosen Schieferplatten. Schwere Jungs, schwere Tafeln.
Die Tafeln wurden am Ende der Aktion zu einem Dreitafelbild oder Triptychon zusammengeführt. Je nach Freiganghof kann man zuordnen, wo was geschrieben wurde. In der Klosterkirche bekam die Zusammenführung eine fast schon sakrale Anmutung, da diese Konstellation nun wie ein 3 Tafel Altar wirkt und somit seine exakte Platzierung bzw. folgende Bestimmung findet, aufgeladen durch die Belange der in der Gesellschaft Verurteiten, ja Vergessenen. Ihnen ein Sprachrohr zu verleihen, in einer Umgebung in der nichts nach Außen dringen darf, hat vielen eine Art Ventil gegeben. Das mag sehr simpel klingen hat aber in einer in sich gefangenen Gesellschaft große Bedeutung. Jemand achtet auf sie, interaktiv und mit Respekt; viele haben gelernt ihre Aggressionen in Schreibform zu kanalisieren, das wiederum zu einem neuen Projekt, nämlich der der Schreibwerkstatt führte.
Dabei erreichen diese Gedankenfetzen nun die Welt ausserhalb der Gefängnismauern und können auch als Messages aufgefasst werden, denn keine sms oder whatsapp verlässt das Innere der JVA. Gelegentlich vielleicht Papierknöllchen unzensiert, Briefe auch aber zensiert. Unzensiert verliessen die schweren Platten nun die Gefängnismauern im harten Kontrast zu den üblicherweise versteckten Papierfetzen. Das war 2019 wie 2020 für Ostern terminiert, wo eine vielversprechende Resonanz aufgrund der religiösen Feierlichkeiten gewiss waren. In diesem Jahr habe ich wegen der Covid-19 Krise den Besuchern der Kirche Kreide hingelegt, um die Tafelbilder noch mehr mit den Ängsten und Problematiken der freien Gesellschaft zu verdichten.